Inhaltsverzeichnis
Orchester und Soloinstrumente
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen (1979) / 12’30
Elegie für Violoncello und Kammerorchester
Solo: Vc. - 2cr-di-bassetto -Str. 2.0.1.1.1
Mannheimer Musikverlag
MMV STP 5228
Arie dissolute (1986/87) ca. 8‘
für Viola und Kammerensemble
Solo: Va. - 0.2Bassfl.(Altfl.).01(Bassetthn.).1. - 0.0.Basstrp.0.0. - Lte. - 3Vc.Kb.
Breitkopf & Härtel
Epiphyt (1987/89) / 24‘
für Flöte und Kammerorchester
Solo: Fl. - 2.1.3.2. - 0.2.1.0. - Schl. - Hfe. - Str. 3.0.2.3.1.
Breitkopf & Härtel
Kryptogramm (1989) / 6‘
für Orchestertorso
Fag. - Schl.(2) - Hfe. - 2Klav.- 4ms. - Vc.2Kb.
Breitkopf & Härtel
Vanitas (2000/02) / ca. 18‘
für Orchester
0.3.4.(Bkl).2(Kfg) - 2.3.4.1 - Pk,Schl.(3) – Str. 10.4.4.4
MTME 615
Abraxas (2007) 10‘
für Tenorsaxophon, Kontrabass und Ensemble
Tsax. Git.
MTME 0868
Azoth (2008) 18‘
Picc. Kornett, Flhr, Fg. Cem
UA musica viva 7.04.2011
MTME 1201
musica viva // 7. 4. 2011 // Klaus K. Hübler, AZOTH Gespräch mit der Flötistin Carin Levine
Carin Levine, Sie haben schon oft Werke von Klaus K. Hübler erarbeitet. Können Sie seine Tonsprache beschreiben? Findet sich in ihr eine ähnlich dichte Art von „new complexity“ wie bei seinem Lehrer Brian Ferneyhough?
Ähnlich dicht und doch ganz anders. Würde man sagen, er schreibe komplex, weil er bei Ferneyhough studiert hat, wäre das sicher nicht richtig. Hüblers Musik ist zunächst einmal und grundsätzlich eine sehr vielschichtige. Er arbeitet intensiv mit verschiedenen Ebenen und Schichten, ob in einem einzelnen Instrument oder im Zusammenspiel mehrerer Instrumente. Im neuen Stück ist das auch so: Da sind die Schichten innerhalb der einzelnen Instrumente (Rhythmus, Dynamik, Akzente) und da ist eine zusätzliche, eine zweite Art von Vielschichtigkeit, nämlich die des Ensembles, wenn sich die Instrumente in ihren Gesten und ihren melodischen Bewegungen berühren, überlappen und sich wieder voneinander entfernen.
Hat es die Mehrschichtigkeit in seinem Oeuvre schon immer gegeben?
Schon immer, ja. Es ist dieser ständige Wechsel von Zusammenballung und Reduktion.
Schon die Kombination der Instrumente ist recht ungewöhnlich: Kornett, Flügelhorn, Fagott und Cembalo, dazu die Piccoloflöte, die in extremer Lage, in extremer Dynamik spielt. Die Extreme spielen eine große Rolle?
Die Extreme sind sehr wichtig. Das wird auch deutlich, wenn Sie an den Titel denken: „Azoth“ hat mit Alchemie zu tun. Es ist die Vorform des sogenannten „Steins der Weisen“, sozusagen die vorletzte Stufe in dem alchemistischen Prozess, in dem sich die geheimnisvolle Quintessenz herauskristallisieren soll. All das, was damit zusammenhängt, das ist schon auch in diesem Stück drin: die Suche nach dem Stein der Weisen, nach der Wahrheit, der Weisheit, dem Gold, dem ewigen Leben.
Für die Alchimisten war Azoth schon eine von der Materie gelöste, rein geistige Substanz, in der dann der ominöse Stein der Weisen erscheinen würde. Ist die Musik dementsprechend voller Anspannung und Erwartung? Voller Hoffnung und letztlich auch Verzweiflung?
Ja, das könnte man sagen. Ich finde, wenn man ein klassisches Musikstück hört, dann ist das meist eine runde Sache. Das hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, und wenn es zuende ist, ist man zufrieden und denkt sich: ja das stimmt so, es ist gut. Hier ist das nicht so. Alles bleibt offen.
Von Anfang an? Ist der Anfang ein echter Anfang?
Das ist die Frage. Das Thema ist recht langsam. Es ist nicht eine so schnelle Musik, wie es zunächst aussieht. Das Fagott beginnt mit einer Vorschlagsgruppe, die aber den Eindruck macht, als komme sie schon irgendwoher, als habe sie schon eine Vergangenheit.
Wenn wir den Vergleich mit der bildenden Kunst bemühen, wäre dann die Musik vergleichbar mit einem Bild des abstrakten Expressionisten Barnett Newman, das keinen Anfang und kein Ende hat, sondern Ausschnitt aus einem unendlichen Kontinuum ist?
Als ob die Musik plötzlich eingeschaltet werden würde? Ja das ist nicht verkehrt. Das Stück ist irgendwo schon „in der Luft“, es ist schon da, bevor es da ist. Und wie es sich dann präsentiert, das ist für mich in der Form vollkommen offen. Wir können überhaupt nicht von ABA-Form, von Reihenform oder von Entwicklung und Rekapitulation sprechen. Nein, es ist – wie der Titel sagt – eine offene Frage. Die Alchemisten haben nie eine Antwort gefunden. Das ist bei diesem Stück nicht anders: Es gibt keine Lösung.
Aber es gab bei den Alchemisten die Meinung, das dieses sagenhafte „Azoth“ keine amorphe Masse, sondern durchaus gestaltet sei, und zwar polar, in eine Art positives und negatives Licht.
Stimmt, das habe ich auch gelesen. Der Stein der Weisen ist ein göttliches Zeichen für das Alpha und das Omega, den Anfang und das Ende. Ich glaube aber nicht, dass diese Überlegung der Grund und der Anlass für die Komposition war, denn die musikalische Sprache der Extreme und der Kontraste, in der sich gleichzeitig mehrere Ebenen übereinander und ineinander verschachteln, das ist Klaus K. Hüblers eigene Grundsprache, die sich durch sein ganzes Schaffen zieht. Ich habe ja viel von ihm gespielt, auch die ganz frühen Stücke, und da war immer diese Haltung ganz deutlich zu spüren.
Bei „Azoth“ findet sie ihre konsequente Fortführung?
Wie eine natürliche Entwicklung, so ist es. Die Sprache wird immer klarer und konzentrierter, ändert sich in ihrem Stil, ihrem spezifischen Tonfall aber nicht. Ich erinnere mich an ein sehr frühes Stück von Anfang der achtziger Jahre, das ebenfalls schon eine sehr spezielle Besetzung hatte: 3 Flöten, Harfe und Cello; und auch dort gab es verschiedene Ebenen: Da war sogar mein Ganzkörpereinsatz gefragt.
Mussten Sie sich bewegen, um spezielle Töne zu produzieren?
Ja, die Kopfbewegungen waren genau choreografiert, rauf, runter und zur Seite. Das war eben auch eine zusätzliche Ebene. Ich kenne Klaus K. Hübler schon lange, ich kenne (das behaupte ich jetzt einfach mal) seine Denkweise gut und wir haben viel miteinander gesprochen, immer wieder. Bei „Azoth“ habe ich ihn auch erst gefragt, ob wir es hier vielleicht mit einer neuen Schaffensperiode zu tun haben. Das hat er aber entschieden verneint. Ich denke, Hübler hat – da kommen wir zum Anfang zurück und zum Vergleich mit seinem Lehrer Ferneyhough, der fast zwangsläufig immer gezogen wird – eine natürliche Art von Komplexität. Das ist auch genau das, was mich persönlich an der Neuen Musik so fasziniert und seit vielen Jahren herausfordert: Es ist wie eine mathematische Aufgabe. Ich habe verschiedene Gegebenheiten, die ich lösen muss. Wenn man es gelöst und verstanden hat und damit auf die Bühne gehen kann, ist das wunderbar.
Müssen Sie eigentlich selbst immer wieder auch Telemannsonaten üben, um sich wieder mit Tonalitäten zu erden?
Nein, das nicht. Ich gehe nicht über die Alte Musik, um die Neue Musik zu finden. Es ist eher anders herum. Ich denke, man bekommt einen ganz anderen Einblick in die Alte Musik, wenn man sie von der Musik unserer Zeit her betrachtet.
Wie sehen Sie die Grundstimmung von „Azoth“?
Dieses Metallische der Piccoloflöte in höchster Lage, dieses Anstrengende, diese Anspannung – das hat schon etwas von der Verzweiflung des Alchemisten. Also verstehen Sie mich richtig: Verzweiflung nicht als emotionaler Zustand, sondern musikalisch gesehen als eine von sehr vielen Ausdrucksmöglichkeiten.
Was bleibt am Schluss?
Eine Form von Erschöpfung. Es wird immer tiefer, es wird leiser, und dann dieser äolische Klang am Ende: tief und unirdisch. Aber keine Lösung ist gefunden. Wenn „Azoth“ die Vorstufe zum Stein der Weisen ist, dann bleibt es dabei. Es gibt Erschöpfung, aber keine Lösung. Der Stein der Weisen kann nicht gefunden werden.
Languissante (2006) 16‘
Double Stops für
Viola d’amore Ensemble & Streicher
Picc. Helikon.Röhrengl. Hf. Git. Akk. Klav. Vla. 5V
MTME 0869
À la mémoire de René Rauber “Languissante” für Viola d´amore, Ensemble und Orchester
In diesem Stück – eine Hommage an den verstorbenen Freund - gestaltet Klaus K. Hübler seine Musik abermals über die üblichen kompositorischen Grenzen hinaus. Es ist ein Aufspüren der Welten, in denen sich der Komponist bewegt, vom Alltäglichen, oft mit viel Humor erlebt und wiedergegeben, bis zu geistigen, spirituelleren Gegenden, die er uns einlädt mit ihm zu betreten. Er hält sich nicht an Konventionen, alle Komponenten der Musik werden untersucht, in Frage gestellt, neu erfunden und in Musik zurückverwandelt. Alles wird der Intuition, die sich Ausdruck schaffen möchte, unterworfen – bis hin zur Disposition und Zusammensetzung des Ensembles. Die Instrumente, das Ensemble, das Orchester, sie werden in ihrer Konstitution untersucht, aus ihrer üblichen Rolle herausgenommen, mit neuen Möglichkeiten ausgestattet und in neuer Form wiedergeschaffen.
I. Satz: Die Viola d´amore leitet ein durch einen einsamen Gesang, die Phrasen sind in einer Art Versform gestaltet, die besondere Fähigkeit, das Instrument mehrstimmig zu spielen, wird benützt und entwickelt die Phrasen zu komplexen Gebilde.
Im II. Satz tritt das „merkwürdige“ Ensemble auf, die originelle Zusammensetzung dieser Instrumentengruppe ruft symbolische Assoziationen hervor: zwei Bläser, das höchst- und das tiefstmögliche Piccolo und das seltene Helikon, zudem Glocken, Harfe, Gitarre, Akkordeon, Klavier. In einem durchsichtigen Satz spielen sie eine Art Trauermarsch. Tonwiederholungen wandern durch den Satz in unregelmäßigen, gedankenschweren Schritten, unterbrochen durch fragende Ausrufe. Gegen Ende taucht die Viola d’amore wieder auf, indem sie mit dem Ensemble in einen Dialog eintritt. Der Satz löst sich beinahe auf, wenn die Viola hauchzarte Töne anstimmt, die sich wie Schmetterlinge im Raume verflüchtigen.
III. Satz: Fünf Cellisten (wovon zwei mit dem Rücken zum Publikum sitzen) befinden sich auf einem Podest oberhalb des Ensembles. Ein dramaturgisch starker Moment. Die Musik bleibt durchsichtig, durchlässig, die Gedanken fließen von einem Cello zum anderen, manchmal sich überlappend, und bilden dabei einen homogenen Bogen.
IV. Satz: Requiem. Unsichtbar spielen sieben Bratschisten immer wiederkehrende Glissandi – in Phrasen, die an die Verse des ersten Satzes erinnern. Con Sordino singen die sieben Musiker wie ein einziges Instrument in unerhört feinen Klängen – der Trauer, des Verlusts.
V. Satz: Die Viola, wieder alleine, nimmt im Pianissimo allmählich Abschied.
Sephiroth (2010)
für Horn, Violine, Violoncello und Klavier
Hr. Vl. Vc. Klav.
AU Cedar Rapids
MTME 3118
Sephiroth 2010
„Sephiroth“ – Plural von „Sephira“ (hebr.): Ziffer, Zahl. Aus demselben Wortstamm entstand das griechische Wort „Sphäre“. Die „Sephiroth“ dienen hier als formales Gerüst, analog zum Hohelied, wo sie den Leib des Geliebten und damit die Gestalt Gottes benennen, und wie in vielen Kunstwerken seither bis hin zu Umberto Eco’s „Foucaultsches Pendel“. Die Musik von Klaus K. Hübler zeichnet sich – paradoxerweise – aus durch das In-eins-Fallen von dunkler, geheimnisvoller Schönheit und von strenger, beinahe mathematischer Klarheit. Der Hinweis auf kabbalistische Begriffe liegt also nahe: Hüblers Musik gelingt die Einheit von Maß und Schönheit.
Robert HP Platz
Ensemble
Notturno (1980) / 12’25
für 10 Instrumente
1.1.1.0. - 0.1.0.0. - Pk. - Str. 2.0.1.1.1.
Mannheimer Musikverlag
MMV STP 5237
Notturno
für 10 Instrumente (1980)
Notturno für 10 Instumente entstand 1980 in einer Periode meiner Produktion, die durch eine starke Reduktion der kompositorischen Mittel und durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten der Tradition bestimmt war. Es ist in erster Linie eine Studie über wechselnde Grade harmonischer Dichte. Dabei wurde die rhythmische und klangliche Konstruktion so angelegt, dass sie assoziativ den Eindruck des nachtstückhaft Unbestimmten und Skurrilen vermittelt.
Klaus K. Hübler
Riflessi (1979) / 6’30
für 5 Instrumente
1(Fl.-contralto).0.0.0. - Str. 1.0.1.1.0 - Hfe.
Mannheimer Musikverlag
MMV P 5229
„Feuerzauber“ auch Augenmusik (1981) / 6‘
Studie in / über Phantasmagorie
für 3 Flöten, Harfe und Violoncello
Breitkopf & Härtel
PB 5162
„Feuerzauber“
auch Augenmusik, Studie in/über Phantasmagorie für 3 Flöten, Harfe und Violoncello
Der Titel trügt nicht; dem Werk liegt ein konkretes historisches Stück zugrunde: der „Feuerzauber“ aus Richard Wagners Walküre, eine für Wagner sehr typische Stelle. Dem einzelnen Orchestermitglied als Solostück völlig unerreichbar, erzielt sie ihre Wirkung durch die scheinbare Mühelosigkeit der stark besetzten Ausführung - Wagners bekannte Phantasmagorie durch Verdeckung der Arbeit, aus der hauptsächlich seine unheimliche Wirkung resultiert. Meine Komposition unternimmt es, die Mechanismen der Wagnerschen Phantasmagorie mit den gleichen Mitteln darzustellen, aus denen sie ihre Wirkung zieht: Verdeckung der Arbeit durch Bloßlegung der Arbeit. - Auskomponierte Koordinationsschwierigkeiten etwa gestatten solche Dialektik. Die Trennung sonst ungeschiedener Bewegungsvorgänge bei der Tonerzeugung ermöglicht ihre analytische Darstellung. Gleichzeitig entsteht jedoch, bedingt durch die spieltechnischen Schwierigkeiten, eine Phantasmagorie anderer Art. Es entstehen verschiedene Grade des Widerspruchs zwischen Notentext und klanglichem Ergebnis: Augenmusik und Gehörseindruck treten auseinander. Doch diese phantasmagorische Komponente der Analyse unterscheidet sich prinzipiell von der Wagners: Während letztere ihre Suggestivität erzielt, indem sie „Natur“ vortäuscht, appelliert die analytische an den Hörer, sich über seine sinnlichen Eindrücke klarzuwerden.
Klaus K. Hübler
Paravant (2. Version) (1997/98) / 11‘
für Ensemble
1. Diplakusis oder Nr. 23
für Mandoline, Gitarre, Harfe, Viola, Kontrabass, Tonband
2. Das Wirtshaus oder Wölflichte
für Sprecher, Singende Säge, Windmaschine, Cembalo, Flügel, Tonband, Video
MTME 613
Ohne Titel (2000) / 36‘
Alt-Flöte, Okto-Kontra-Bassklarinette, Violine, Violoncello, Klavier, Schlagzeug, Tonband
MTME 614
Ohne Titel
Altflöte, Okto-Kontra-Bassklarinette, Violine, Klavier, Schlagzeug, Tonband
nicht alles Schiefe ist schön, aber dieses Stück ist ganz schön schief: ohne Titel: ohne Namensetikett; alles steht für sich selbst. verweist auf nichts außer sich selbst ohne Tutti: Instrumente als Individuen, Charaktere wie Personen einer imaginären Handlung gebrochene Dramaturgie? ohne Steigerungen, dramatische Entwicklungen - jedes Ereignis steht für sich selbst, ist „gesetzt“ geworfen? ohne „normalen“ Ton - fast führt die Kargheit der Konzeption zu einer Ritualisierung des Klangs, und damit zur Inszenierung der Aufführung? Welche Funktion kommt dem Dirigenten zu? Wird er Regisseur?
Günter Grass: „Alles Schöne ist schief“
(steht als Motto in der Partitur)
Robert HP Platz
2000
Objets de désir (2005) / 6‘
für Zheng und Ensemble
MTME 767
I Leave My Love Alone (2009) 8’
für Flöte, Violoncello und Akkordeon
Fl. Vc. Akk.
MTME 1203
Kammermusik
MVSICA MENSVRABILIS (1975/76) / 10‘
für 2 Violinen und Viola
Breitkopf & Härtel
KM 2220
MVSICA MENSVRABILIS (1975/76)
für 2 Violinen und Viola
Der Begriff „musica mensurabilis“, zu deutsch, „messbare Musik“, stammt aus dem Mittelalter. Er bezeichnet eine, im 13. Jahrhundert entstandene, Notationsform, die es erstmals erlaubte mehr-stimmige Musik rhythmisch zu fixieren, ohne dabei an gegebene Formeln (Modi) gebunden zu sein. Die Mensuralmusik unter-scheidet sich in zwei Punkten von der Rhythmik späterer Musik: sie kannte nur die zweizeitige Unterteilung eines Notenwertes (also keine Triolen, Quintolen, etc.), und sie war nicht von der späteren Taktordnung - dem regelmäßigen Wechsel von schwerer und leichter Zeit - bestimmt. Diese historische Bedeutung des Begriffs trifft ein Merkmal der Komposition: sie verwendet ausschließlich rationale, nach-„messbare“ Tondauern, die nicht durch die Metrik eines Taktschemas gewichtet werden. Die Bezeichnung „musica mensurabilis“ charakterisiert aber in erster Linie in einem anderen, wörtlicheren Sinne einen Aspekt des Stücks: Musik, die als gemessene, messbare in Erscheinung tritt, und so von aussen her beschreibt, was Musik, genauer musikalische Aufführung, wesentlich bestimmt: das den gegebenen Notentext geringfügig Modifizierende einer „musikalischen“ Interpretation. Alles was eine solche bestimmt - z. B. ritardandi an Phrasenenden, vibrato, „Vortrag“, usw. - hat bei der Ausführung dieses Stücks zu unterbleiben. Die Musik ist reduziert auf ein „unmenschliches“, aller „musikalischen“ Imponderabilien entleertes Negativ dessen, was unter Musik gemeinhin verstanden wird. Die „Musik in der verwalteten Welt“ reflektiert in der Verweigerung einer „verwalteten“ Musik. Die Komposition gliedert sich in zwei Teile, wobei der zweite eine Wiederholung des ersten darstellt. Auf Grund gesteigerter Konstruktivität - das „messende“ Verfahren verselbständigt sich gewissermaßen - erscheint die Wiederholung fragmentarisiert. Das Prinzip, das die Komposition konstituiert, „hebt“ sie wieder „auf“. Das Stück endet offen, nicht optimistisch.
Klaus K. Hübler
1. Streichquartett (1977) / 21‘
Hommage à Alban Berg
Mannheimer Musikverlag
MMV STP 5230
2. Streichquartett (1979/80) / 10‘
„sur le premier prélude“
Mannheimer Musikverlag
MMV STP 5236
2. Streichquartett
„sur le premier prélude“
Wie nie zuvor ist unsere Musik ihrer eigenen Geschichte konfrontiert. Noch die Notre- Dame-Schule des 12. Jahrhunderts ist so gegenwärtig wie die vertrautesten Zeitgenossen. Eine unbequeme und beschwerliche Situation, die die eigene Arbeit am Früheren zu messen zwingt und der man sich nicht entziehen kann, es sei denn durch Ignoranz oder den Glauben an die „Erlösungsmythen“ irrationalistischer Fluchtbewegungen. (Ob das Ziel dann „Indien“ oder „neue Einfachheit“ heisst, ist dabei eine Frage von sekundärer Bedeutung.) Solch feiges Ausweichen, das steht ausser Frage, kann allenfalls der subjektiven Befindlichkeit aufhelfen, die Bereitschaft vorausgesetzt, sich über sich selbst und seine Arbeit (von den Betreffenden gern mit autohagiographischen Epitheta aus der Sphäre „Persönlichkeit und Werk“ verbrämt) im Unklaren bleiben zu wollen: Man dünkt sich so originell in derartigem (Dämmer)Zustand, dieweil die Vergangenheit unbemerkt durch die Hintertür eintritt - die Mahler’sche Gleichung von Tradition und Schlamperei.
Sollte nun einer, wie ich das unvernünftigerweise tue, keinen Geschmack daran finden, sich also einem verdrängten oder halbreflektierten Historismus preisgeben, so ist es unausweichlich - und ich wähle ganz bewusst die antiquierte Floskel -, sich dem Erbe zu stellen. Freilich nicht, um es zu „erwerben“ oder gar zu „besitzen“ - und es alsdann „für zwei Groschen Courant“ als Bestimmung der Musik zu verscheuern -, wohl aber, um wenigstens den Versuch zu machen, es in des Wortes dreifacher Bedeutung „aufzuheben“. Darin liegt vielleicht, und das ist ganz gewiss eine utopische Perspektive, die Möglichkeit eines individuellen Weges, Geschichte zu bewältigen aus den eigenen, den der Geschichte und der Person eigenen, Konsequenzen heraus. Soweit in kurzen Zügen einige Gedankengänge, die eine Reihe meiner Arbeiten der letzten Jahre bestimmen. Dazu zählt auch das 2. Streichquartett - mit Einschränkung: Es ist ein ironisch-leicht-gewobenes Stück, das unterm anachronistischen Deckmäntelchen eines Variationssatzes „sur le premier prélude“ (des Wohltemperierten Klaviers I) über durchlaufende Bewegung fantasiert, nicht ohne Bezug auf die diskreditierte Tradition der „Meditation“. (Debussy hatte schon recht: „Gounod ist mit allen seinen Schwächen notwendig.“) Dass ich allerdings zu einem anderen Ergebnis gelange als Gounod, liegt nicht nur am unterschiedlichen „Hörwinkel“, sondern nicht zuletzt an meiner romantischen Disposition: “Gebt lieber die nackten schwarzen Holz-Äste als einen welken Umhang rauschenden Laubes vom vorigen Jahr.“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik)
Klaus K. Hübler
Chanson sans paroles (1978) / 9’30
Kafkastudie I für Klarinette in B, Violoncello und Klavier
Breitkopf & Härtel
KM 2219
CHANSON SANS PAROLES
- Kafka-Studie I – für Klarinette in B, Violoncello und Klavier
Die Komposition entstand 1978 und gehört zu dem noch unvollendeten Zyklus „Stücke für Maria“, der aus fünf selbständigen Einzelwerken besteht. Es handelt sich dabei um drei Instrumental- und zwei Vokalkompositionen. Solosonaten für Violine bzw. Viola bilden die Rahmenteile; die vorliegende „Chanson sans paroles“ steht an dritter Stelle zwischen den beiden Vokalnummern. Der Untertitel „Kafka- Studie“ verweist auf den Formverlauf . Die Instrumente teilen sich zunächst in ein einheitliches Grundmaterial, den, allerdings nur dissoziiert erscheinenden, g-moll Dreiklang. Die Entwicklung dieses Materials oder das Beharren bei einzelnen seiner Elemente geschieht nun bei jedem der drei Instrumente - Klarinette, Violoncello, Klavier - auf unterschiedliche, instrumenten-spezifische Weise. So resultiert ein Verlauf, wie er für Gesprächsszenen Kafkas typisch ist: Das scheinbar Selbstverständliche und Eindeutige - hier: der g-moll Dreiklang - erweist sich im Verlauf der Unterhaltung - hier: im Verlauf des kompositorischen Weitertreibens - keineswegs als verlässliche Basis von Kommunikation; das scheinbar Eindeutige erweist sich als ambivalent, weil die Gesprächsteilnehmer - hier: die Instrumente - mit dem Gesagten unterschiedliche Vorstellungen verbinden - hier: unterschiedliche Entfaltungsmöglichkeiten verwirklichen. In dieser Konzeption artikuliert sich Misstrauen gegenüber den hergebrachten musikalischen Ausdrucksmitteln; dahinter steht die Frage nach der künstlerischen Mittelbarkeit. Die problematisierte Interaktion ist das Thema des Stücks. In diesem Sinnen spielt auch der Haupttitel weniger auf die romantische Gattung des „Lied ohne Worte“ an, als auf die ehrdeutigkeit dieser Formulierung selbst: Chanson sans paroles.
Klaus K. Hübler
1983
1. Streichtrio
„Konzertparaphrase“ (1980/81) / 11‘
Breitkopf & Härtel
KM 2203
SONATA MIMETISTICA (1981)
für Barock-Instrumente
(Traversflöte, Violine, Viola da gamba (oder Violonchello), Cembalo)
MTME 740
Am Ende des Kanons (1983) / 15‘
Musica con(tro)versa für Posaune und Orgel
Breitkopf & Härtel
EB 9010
„Am Ende des Kanons“ (1983)
Musica con(tro)versa für Posaune und Orgel
„am ende des kanons“ kombiniert zwei klanglich zwar verschmelzbare, aber ideell unvereinbare Instrumente. Nur durch ein abstrakt konstruktives Band - canosis iussu - können sie zusammengehalten werden; allerdings um den Preis einer einschneidenden Restriktion ihrer individuellen Eigenschaften - musica conversa. Der so entstehende Druck führt zu einer Entladung nach außen und einer nach innen - musica controversa: resolutio/cercar. Der Schlussteil ist durch eine ständige Zunahme kanonischer Strukturen in der Posaunenstimme bestimmt. Dabei ermöglicht der immer härter werdende Griff des Verfahrens die Entfaltung der spezifischen Möglichkeiten des Instruments.
Klaus K. Hübler
3. Streichquartett (1982/84) / 13‘
„Dialektische Fantasie“ Breitkopf & Härtel
PB 5155
sklEros (1985/86) / 18‘
Doppelvariationen für Flöte, Oboe d’amore, Bassklarinette, Fagott und obligates Horn Breitkopf & Härtel
PB 5180
Kannitverstan (1985)
Hörstück für Schallkonserven, Tonband
Realisation Bayerischer Rundfunk (Studio Nürnberg)
KANNITVERSTAN
Hörstück für Schallkonserven
In der Geschichte von Peter Hebel wird von einem Menschen erzählt, der an andere die verschiedensten Fragen stellt. Doch die Gesprächspartner verstehen seine Sprache so wenig wie er die ihre. So erhält er auf alles, was er wissen will, nur die Antwort, dass man ihn nicht verstehe. Der Fremde missdeutet selbst den Sinn dieser Aussage, nimmt die Antwort für positive Auskünfte und knüpft Spekulationen daran, die ihn gleichwohl ins Zentrum der Fragestellung führen. Der Titel von Hebels Geschichte lautet: Kannitverstan.
In meinem Stück, das diesen Titel übernimmt, hören Sie Schreibmaschinen, Fernschreiber, Telegraphen, Druckereimaschinen, EDV-Anlagen und anderes Gerät, das der Kommunikation oder Nachrichtenübermittlung dient. Sie hören außerdem Aufnahmen von Gesprächen in Gaststätten, von Äußerungen bei Demonstrationen und Volksversammlungen, Reaktionen eines Fußball- und eines Konzertpublikums etc.: also Aufnahmen von Orten, an denen oder von denen zumindest potentiell Nachrichten, Neuigkeiten, Informationen übermittelt oder ausgetauscht werden. Man kann jedoch nicht verstehen, was geredet wird bzw. welche Informationen direkt oder auf dem Umweg über die Maschinen weitergegeben werden. Und in einem übertragenen Sinne können sich auch die einzelnen Aufnahmen, aus denen das Stück montiert ist, nicht „hören“: Es handelt sich um künstlich zueinander in Beziehung gesetzte Schallkonserven aus dem Geräuscharchiv des Bayerischen Rundfunks. Diese Schallkonserven sind nach einem strengen Laufplan in der Zeit und im stereophonen Raum verteilt und werden diversen Manipulationen unterworfen; sie gehorchen dabei gewissermaßen „radiophonen“ Gesetzmäßigkeiten. So wird der Spieß der allgegenwärtigen Kommunikationsmittel umgedreht. Nicht das Medium ist mehr die Botschaft, sondern die unverständlich oder beliebig gewordene Botschaft der Medien wird selbst wieder zum Medium für spekulierende Ohren.
Klaus K. Hübler
1985
2. Streichtrio und Tonband (1996/97) / 10’40
Quenean und ich
MTME 612
nigrae tantum (1996) / 6‘
für Barionsaxophon und Kontrabass
MTME 607
moments privilégiés (1998) / 3‘
für 6 Hörner
MTME 609
kunst (1998) / 3’30
für Flöte, Harfe und Bratsche
MTME 608
Kunst
für Flöte, Harfe und Bratsche
„Veilchenhafte Blüte Kunst“ – die erste Zeile des gleichnamigen Gedichtes Heinrich von Meissens (etwa 1250-1318) genannt Frauenlob, steht der Komposition als Leitgedanke voran.
Das kurze Stück ist dreiteilig: Jeder Abschnitt beginnt mit einem Takt im selben Ausgangstempo, in dem alle drei Instrumente spielen. Darauf folgen Soli aller Instrumente; im letzten Abschnitt das der Flöte. (Dieses Solo kann gleichzeitig als Überleitung zu Hüblers „Epiphyt“ fungieren, einem Werk für Flöte und Kammerensemble). „kunst“ ist also sehr dünn ausgesetzt, evoziert so einen kristallenen, transparenten Klang, der durch die besondere Behandlung der Harfe verstärkt wird: Die Harfenstimme ist auf vier Systemen notiert. Die beiden oberen geben keine konkreten Tönhöhen wider, sondern die zu zupfenden, diatonisch geordneten Saiten des Instruments. Das akustische Ergebnis wird erst durch die Pedalstellung ausgelöst, die auf den beiden unteren Systemen - jeweils als Ausgangs- und Zielposition - eingezeichnet ist. Hände und Füße müssen völlig unabhängig agieren.
Klaus K. Hübler
(„Kunst ist auf Anregung der Flötistin Sylvie Lacroix entstanden und auch ihr gewidmet)
etwas, was sich wiederholt: Wellen (2004) ca. 5‘
Versuch für Kinder
4Fl., 2 Klar. - 2Trp. – Git., Klav., Schl.(2) - Chor - 2Vl., 2Vc.
MTME 725
etwas, was sich wiederholt: Wellen, Versuch für Kinder
Dieses Werk, 2004 im Auftrag von Wien modern entstanden, ist eine leicht fassliche Komposition für Kinder, die auf filigrane und kunstvolle Weise in die Charaktereigenschaften von Wellen hineinhorcht.
Ein schöner See vielleicht bei herrlichem Sonnenschein und leichtem Wind. Wie man davor sitzt und zunächst nichts als Wasser und das Einerlei der Wellen sieht, ist das musikalische Material in dem Stück sparsam gewählt. Doch allmählich beginnt der Blick sich zu schärfen, keine Welle gleicht der anderen. Die Wellentäler sind verschieden groß, ein gekrümmter Glanz liegt auf der Wasseroberfläche. Die Wellen schaukeln und brechen sich unterschiedlich stark, manchmal zieht sich ein Gischtstreifen quer über den See. Man sieht, wie sie am Ufer auflaufen und versiegen; vielleicht laufen sie auch gegen einen Widerstand, der sich ihnen schroff entgegen stellt. Kleine und größere Tropfen bilden sich. Es fällt ein Gegenstand in den See, der ringförmige Wellen hinterlässt.
Das Auge erkennt immer mehr. Die Ohren beginnen, den Wasserklängen zuzuhören, mehr noch: das visuell Wahrgenommene in klingenden Rhythmus, in Klangfarben und kleine Melodien zu verwandeln. Traditionell wird eine Welle als weiche, runde Bewegungsart beschrieben, die in der Musik zumeist in dreigliedrigen Taktarten und rhythmischen Figuren ausgedrückt wird.
Dieses Mittel verwendet Hübler nicht. Seine Wellen finden in kleinen dreitaktigen Phrasen statt. Doch wie die Wasserwellen sich brechen, sich gegenseitig im Bewegungsverlauf bremsen können, so dass die Welle unterhalb der Wasseroberfläche ausläuft, lässt Hübler die Dreitakt-Phrasen nicht nur aufeinander folgen, sondern verschränkt sie ineinander.
Die Position des Ensembles ermöglicht die Erfahrung, wie die Wellen nicht nur Bewegungen in Richtung Ufer einnehmen, sondern auch horizontal verlaufen. Es entsteht der Raum eines Sees.
Immer anders kehrt das scheinbar Gleiche wieder. Was bleibt, ist ein Nachhorchen im Schaukeln.
(Astrid Schmeling)
Sonate (2004) / 10‘
„Tympanon“
für Klavier und Violine
MTME 710
4. Streichquartett (2005) / 10‘
(mo)zART
MTME 798
“440 Hz” (2007) 12'
für Tenorsaxophon und Gitarre
MTME 868
Werke für Soloinstrumente
Capricio sopra B-A-C-H (1975) / 3‘
für Klavier 4ms
MTME 685
Sonate (1978) / 46‘
für Violine
Breitkopf & Härtel
EB 9009
Sonate für Violine solo
Die Sonate für Violine solo (1978) ist eine meiner frühesten Auseinandersetzungen mit dem Thema „Tradition“. In diesem Stück habe ich mich ganz bewusst auch historischer Sprachelemente bedient und, nicht zuletzt durch die Wahl des Zentraltones d, die Erinnerung an Bachs Chaconne evoziert. Dies geschah weder aus Vermessenheit, noch leiteten mich historische Intensionen. Mein Ziel war es vielmehr, durch das tatsächliche Hereinholen einer durch die bloße Besetzung latent ohnehin vorhandene Belastung die eigene Position genauer artikulieren zu können. Eine zentrale Rolle hierbei spielte für mich damals die allmähliche Entfaltung und Reduktion des Materials in der Zeit, von der sich die monströse zeitliche Ausdehnung des Werks erklärt.
Klaus K. Hübler
1984
Lamento, Scherzo ed Arioso (1979) / 12’30
für Viola
Breitkopf & Härtel
EB 9008
Zwei Skizzen (1980) / 11‘
Gitarre solo
Mannheimer Musikverlag
MMV Kpl 5240
Excerpt (1981) / 4‘
für Flöte
Breitkopf & Härtel
EB 9161
Exzerpt
Version A, B, C für Flöte solo (1981/99)
„Exzerpt“ ist - wie schon der Titel andeutet - ein neu kombinierter Auszug der drei Flötenstimmen aus Hüblers „Feuerzauber auch Augenmusik. Studie in/über Phantasmagorie“ für drei Flöten, Harfe und Violoncello (1981). Dieses Stück widmet sich der Unspielbarkeit als kompositorische Idee und bezieht sich gleichzeitig auf die Phantasmagorien in Richard Wagners „Feuerzauber“ (aus der „Walküre“). Die Unspielbarkeit erreicht Hübler durch drei interpretatorische Schwierigkeiten: Temposchwankungen, Koordinationsprobleme beim einzelnen Spieler sowie falsche Töne. Hübler betont, dass „dabei an keiner Stelle die Möglichkeiten der Instrumente überschritten, sondern die Grenzen menschlicher Fähigkeit erkundet (werden).“ Diese Schwierigkeiten sind folglich auch in „Exzerpt“ zu finden: Die Flötistin sieht sich mit zwei Notensystemen konfrontiert, das obere davon nur vierzeilig. In diesem werden Überblasregister und die Art des Blasens notiert, gegriffen wird nach den Anweisungen im unteren System. Zu diesen völlig unabhängigen Aktionen kommt noch eine dritte hinzu: die Drehung der Flöte. Diese autonomen „Stimmen“ erzeugen eine Polyphonie -hervorgerufen durch eine Musikerin, die normaler-weise ihre Konzentration nur auf eine Lippenführung zu richten hat. Hübler sieht in seiner Komposition vor allem eine „Diskrepanz zwischen Notenbild (Augenmusik) und klanglichem Resultat“, die es den Musikern erschwert, sich eine Klangvorstellung zu machen.
Sylvie Lacroix
CERCAR (1983) / 7‘
für Posaune
Breitkopf & Härtel
EB 9017
CERCAR (1983)
Für Posaune
Cercar. In diesem Titel stecken zwei Worte - Recercar und Carcer, denn in diesem Stück ist „cantio et reliqua canonica arte resoluta“; das tema regium aus dem „Musikalischen Opfer“ Bachs bildet, ohne selbst auffällig in Erscheinung zu treten, das Grundmaterial des Stücks. Im Gegensatz zu Bach wird Polyphonie hier jedoch nicht als künstlerisches Mittel per se eingesetzt, sondern dient als unerbittliche Fessel, unter und gegen deren wachsenden Druck sich ein neuer Geist des Instruments artikuliert. Seine Entstehung ist somit den tradierten Techniken verknüpft, ohne ihrer noch weiter zu bedürfen: Aus der rein homophonen Posaune wird durch die polyphone Behandlung der verschiedenen Komponenten der Tonerzeugung (Lippen, Zug, Ventil, Atem, Zwerchfell…) ein Instrument, das über die Möglichkeit verfügt, größte Vielschichtigkeit der Linie zu realisieren.
Klaus K. Hübler
Grave e sfrenato (1985) / 26‘
für Oboe
Breitkopf & Härtel
EB 9026
Buechlyn (2007) 3‘
für Blockflöte solo
Blfl.
MTME 1137
Étude de transition (2008) 8‘
für Klavier
Klav.
MTME 1204
Sonetto LXXXIII del Michelangelo (1986) / 12‘
für Klavier
Breitkopf & Härtel
EB 9005
Sonetto LXXXIII del Michelangelo
für Klavier (1986)
Die akustischen wie pianistisch taktilen Empfindungen sind hier geprägt von einer durch den im Sonett Michelangelos ange-sprochenen Marmor inspirierten Vorstellung kühler Härte. Sie wird übersetzt durch eine stellenweise „nahezu fixierte Handposition“ (Hübler) und einen blockhaft kompakten Klaviersatz, der allerdings ein äusserst differenziertes rhythmisches Innenleben aufweist: Formbestimmend war „ein detailliertes Schema, das Sinneinheiten, Ostinatofolgen, Spieltechnikwechsel, grundsätzliche kompo-sitorische Verfahrensweisen (abstrakt), Ausarbeitungs-/Dichtegrade und Anzahl selbständiger rhythmischer Schichten als aufeinander bezogene, aber selbständige Dauern mit individueller Gewichtung darstellte.“ Die polyphone Überlagerung rhythmischer Schichten findet dabei eher in einer Verdichtung des Klaviersatzes als in der horizontalen Aufsplitterung rhythmischer Verläufe: Vertikale Polyphonie.
Aus Michelangelo: Sonettto LXXXIII
Non ha l‘ottimo alcun concetto
Ch’un marmo solo i se non circoscriva
Col suo soverchio, e solo aquello arrivo
La ma, che ubbidisce all’intelletto.
Selbst der grösste Künstler wird nicht lenken,
Was nicht im Marmor angelegt
Doch nur ein solcher wohl bewegt
Die Hand so, dass sie folget seinem Denken.
Robert HP Platz
Opus breve (1987) / 3‘
für Violoncello
Breitkopf & Härtel
EB 9045
Reißwerck (1987) / 2‘
für Gitarre
Breitkopf & Härtel
EB 8461
Finale und kurzes Glück (1989) / 3‘
für Trompete
Breitkopf & Härtel
EB 9086
Finale und kurzes Glück
für Trompete
Ein einzelnes Stück als Finale, als Endpunkt von etwas Vergangenem, es rauschen Gedanken an das, was nicht mehr zu hören ist; von Beginn an, welcher eigentlich also kein Beginn sein kann, eine dynamische Unruhe, ein Kampf der Geschehnisse; zunehmen wird der Verlauf nerviger, fallen die Erinnerungen enger zusammen, prallen aufeinander: Rhythmisch schieben sich die Strukturen übereinander, sind kaum mehr zu trennen, all das im Vierteltonraum; dann, allmählich, beruhigt sich alles zunehmend, die Komplexion schwingt ab, es bleiben ruhige Verläufe, einzelne Töne in einer verhaltenen, sich nicht mehr ändernden Dynamik, „sans nuance“: Gegen Ende des Endes also, wenn die konträren Assoziationen ausgetobt sind, ein kurzes Glück, ohne Aufschrei, entfernt von emotionalem Chaos; vielleicht die ruhende Gewissheit der Melancholie: alibi, alias; anderswo, anderswann.
Bernhard Messmer
Maske (1995/96) / 9‘
Mutmassungen für Akkordeon
MTME 606
Zeitung (2000) / ca.12‘
für einen Schlagzeuger (aus ‚Ohne Titel‘)
MTME 746
Palimpsest (2003) / ca. 25‘
Konjektionen für Bassflöte
MTME 701
PALIMPSEST / KONJEKTIONEN
für Bassflöte (1989/2003)
Hüblers zentrales Thema ist eine konsequente ästhetische und analytische Auseinandersetzung mit der Spielweise der Instrumente - was ihn zur Einführung einer „Aktionsnotation“ motivierte, die nicht das angestrebte klangliche Resultat fixiert, sondern die „Aktionen“ der Interpreten bis ins kleinste Detail festhält und über Grenzen hinaus führt. So werden bei den Streichern die Aktionen der linken und rechten Hand in jeweils eigenen Systemen notiert und bei den Bläsern „Griffe, Lippen- bzw. Atemartikulationen getrennt und polyphon geführt. Das Ergebnis ist ein vielfach gebrochener Klang: instabil, zerbrechlich wie jener blitzartige kurze Augenblick zwischen Klang und Geräusch, der Entstehung und Verlöschen eines Instrumentaltones charakterisiert“ (Robert HP Platz). Palimpsest / Konjektionen für Bassflöte begann Hübler vor seiner schweren Erkrankung 1989 und er vollendete dieses Stück im Jahre 2003. (‚Palimpsest‘ bezeichnet ein Pergament, das mehrfach beschrieben wurde, wobei unter dem neuen Text noch Schatten des abgeschabten alten zu erkennen sind). Uraufgeführt wurde das spieltechnische Extreme einbeziehende Stück von Carin Levine bei den Internationalen Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik 2004.
B.B.H. (2005)
für Klavier linke Hand, Sprecher und Jandl
MTME 777
B.B.H.
für Klavier linke Hand, Sprecher und Jandl
Das 2005 komponierte kleinzyklische Werk für Klavier linke Hand, Sprecher und Jandl erinnert an die Sonderlichkeit eines Robert Walsers, an das getreue Buchstabieren von Ereignissen, hinter denen jener Abgrund lauert, in den man durch die Mechanik bizarrer Einfachheit hinein gezogen scheint und im Umfeld verzerrt-bekannter Floskeln ver-rückt wird.
Die Initialien B.B.H. stehen für Bach, Brahms und Hübler. Der dreiteiligen Kompisition steht das Kopfmotiv der berühmten „Ciaccona“ in d-moll als Motto vor. Zunächst wird unter der Lupe eines Sebastian Bachs linkshändig dieses Thema „verarbeitet“ und nach vier Kadenzen mit einem Ernst Jandl Fragment schließlich „abkadenziert“. Dann folgt gleichfalls linkshändig unter der Brahms’schen Direktive eine weitere Variante, die in das links- und rechtshändige und phasenweise auf neun Systemen sich spreizende und notierte Finale mündet, ein Finale, das Klaus K. Hübler mit dem eigenen Namen überschreibt.
Wenn man so will, wird innerhalb dieser Komposition Musikgeschichte buchstabiert. Die Chaconne aus der d-moll Violinsonate von Johann Sebastian Bach ordnet sich dem Willen unterschiedlicher Stile unter. In dieser Einfärbung etabliert sich eher ein groteskes denn ein verarbeitungstechnisches Phänomen. Diese Akzentuierung auf das Komische unterstützt der Moment des Jandl sprechenden Pianisten.
Hans-Peter Jahn
2006
Air en Echo, oder: Les deux profils (2005) / 4‘
für Laute
MTME 781
Gesang / Sprecher / Chor
Drei Volksliedbearbeitungen (1978) / ca.10‘
(Es steht ein Lind – Grad aus dem Wirtshaus – Ach Gott, wie weh…)
für Mezzosopran, Klarinette und Zither
MTME 745
Hörsermon (1998/99) / 8’20
(Stücke für Maria IV)
Klitterung für Sprecher, Violoncello und Klavier
MTME 611
HÖRSERMON
Klitterung für Sprecher, Violoncello und Klavier
GeschichtKLITTERUNG nach DWb zu klittern, klüttern vb.: klecksen, eilig und schnell schreiben; Flecken machen. Vgl. klittern, klüttern vb.: klappern, pochen, klopfen; kleine, unnütze Sachen verfertigen, spintisieren. „Ein Hörsermon ist ein Sermon vor dem Heer und zugleich ein Sermon zum Hören.“„Fischart erlöst den Gegenstand aus seiner sprachlichen Starre.“ aus: Johann Fischart: Gesichtklitterung (1590) Worterläuterungen zum Text der Ausgabe letzter Hand nach 1590 nach der Neuausgabe 1963 von
Ute Nyssen
Desunt (1999) / 10‘
(Stücke für Maria II)
Pantagruelisch für Altstimme, Violoncello und Klavier
MTME 610
Herr H. (2004) / 4‘
Makrokosmos für achtstimmigen Chor
MTME 748
B.B.H. (2005)
für Klavier linke Hand, Sprecher und Jandl
MTME 777